PricingStrategie

Weitergeben oder mitnehmen? Wie verschiedene Branchen mit der Mehrwertsteuersenkung umgegangen sind

Die im Juli beschlossene Mehrwertsteuersenkung galt gut ein halbes Jahr. Im Juli hatten wir an dieser Stelle Tipps veröffentlicht, wie diese am besten in die Preisstrategie integriert werden kann. Heute ziehen wir Bilanz: Vor allem im Einzelhandel und in weitgehend kontaktfreien Branchen wurde die Änderung an den Kunden weitergegeben.

Roll und Pastuch Mehrwertsteuersenkung Strategie im Pricing

Ziel der diesjährigen Mehrwertsteuersenkung war, die Konjunktur und die Konsumlaune in Deutschland gezielt anzukurbeln. Ausgelöst durch die Corona-Pandemie reduzierte sich der reguläre Satz im Juli 2020 von 19 % auf 16 % und der ermäßigte von 7 % auf 5 %. Diese Maßnahme hat bis zum Jahresende Bestand und soll aktuell auch nicht verlängert werden.

Zeit für ein erstes Fazit, wie die Maßnahme umgesetzt wurde und welche Effekte die unterschiedlichen Pricingstrategien hatten.

Weitergabe vor allem im Einzelhandel und Energiesektor

In absoluten Zahlen gemessen kam die Senkung zum größten Teil beim Verbraucher an. Die Bundesbank (2020) schreibt in ihrem Monatsbericht, dass (gemessen am HVPI) ca. 60 % der Senkung weitergegeben wurde. Vor allem der Einzelhandel setzte dies konsequent um. In einer Ifo-Studie (Fuest et al., 2020) zeigte sich beispielsweise für die über 60.000 Produkte der Rewe-Supermarktkette: Die Preise sanken durch die Mehrwertsteueranpassung um durchschnittlich zwei Prozentpunkte – sie wurde also zum größten Teil an die Kunden weitergegeben. Auch im Energiesektor beobachtete die Bundesbank ähnliche Ergebnisse.

Dienstleister nehmen die Marge eher mit

Ganz anders sah es hingegen im Dienstleistungssektor aus. Hier wurde die Mehrwertsteuersenkung nur zu ca. einem Drittel an die Verbraucher weitergegeben – mit Ausnahme des Bereichs Telekommunikation. Die Gründe liegen auf der Hand: Höhere Kosten und geringere Nachfrage. Wo die Wirtschaft durch die Eindämmungsmaßnahmen stark gelitten hat und wo für zusätzlichen Schutz gesorgt werden musste (wie zum Beispiel in der Gastronomie oder im Friseursalon), wurde die Marge eher einbehalten.

Die Sicht der Konsumenten

Eine der entscheidenden Fragen im Juli war, wie die Konsumenten diese wahrnehmen würden. Hier liegen jetzt ebenfalls erste Ergebnisse zu vor: Nach einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (Beznoska et al., 2020) nahmen etwa 54 % der Befragten die fallenden Preise wahr, während nur etwa 15 % überhaupt keine Veränderung an den Preisen bemerkt hat.

Sehr interessant: Abhängig von den Eigenschaften und der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens zeigten viele Verbraucher Verständnis, wenn die Senkung nicht an den Kunden weitergegeben wurde (bis zu 60 %).

Quo vadis?

Aus Pricingsicht waren die Maßnahmen ein spannendes Experiment mit einigen neuen Erkenntnissen:

  1. Die Realität hat wieder einmal gezeigt, dass es den einen Königsweg nicht gibt. Um die optimale Pricinglösung zu finden, bedarf es intensiver Branchen- und Kundenkenntnisse. Was in der einen Branche die optimale Lösung sein kann, führt in der anderen zu Ertragsverlusten.
  2. Verbraucher sollten nicht unterschätzt werden: Auch wenn Kunden manchmal als extrem preissensibel verschrien sind, spielt Preisfairness nach wie vor eine ganz wichtige Rolle bei der Zahlungsbereitschaft. Wenn Kunden die Nicht-Weitergabe der Mehrwertsteuersenkung verstehen können, sind sie auch bereit, bewusst höhere Preise zu akzeptieren.

Die Ergebnisse der IW-Umfrage zeigen: Offensichtlich gibt es 15 % der Kunden, die eine der größten Preissenkungen der Nachkriegsgeschichte nicht wahrgenommen haben. Preiskommunikation ist daher ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg – alle Unternehmen, die die Mehrwertsteuersenkung weitergeben (oder ähnliche Preisaktionen vorhaben), sollten eine aktive und intensive Preiskommunikation nicht vergessen.

 

Quellen

  • Beitrag teilen:

Oliver Roll von Roll & Pastuch
Autor

Prof. Dr. Oliver Roll

Managing Partner

Mehr zum Thema